April 2018

Die Schrägfeder

Ab diesem Monat nehme ich wieder nach längerer Zeit in einem Monatsbeitrag Stellung zu bestimmten Themen, die mir gerade eingefallen sind oder zu denen ich eine Anfrage oder einen Kommentar erhielt. Usw. 

 

Heute greife ich die Lamy 2000 OBB auf und stelle meine Position zum stetigen Rückgang von Nachfrage und Angebot dieser Federn dar.

Oben finden wir zwei Schriftbeispiele legendärer Füllhalter. Beide Marken pflegten und pflegen (im Falle von Montblanc immer noch) ein großes Federangebot. Für Sheaffer im alten Gewand bis ca. 1997 (Übernahme von BIC) war es in der eigenen Federproduktion in Fort Madison, Iowa, USA selbstverständlich, ein sehr großes Federangebot bereitzuhalten. Das schloss auch Edelstahlfedern mit ein. Auch bei Herstellern wie Pelikan oder Cross wurden auch bei Stahlfedern verschiedene Spezialfedern vorgehalten. Hersteller wie OMAS hatten ein sehr großes Federnprogramm einschließlich rechtsangeschrägter Federn für kalligraphische Zwecke oder für Linkshänder. Auch Parker hatte beim Duofold und beim Sonnet solche Federn.

Wenn wir uns nun auf die Schrägfedern konzentrieren, so fällt historisch auf, dass sie bei deutschen "Vintage"-Füllern recht häufig angeboten werden. Gerade die OB war eine gern verwendete Feder. Bei Montblanc, Pelikan und teils auch alten Lamy sieht man diese Federn gar nicht so selten. Wesentlich häufiger als bei amerikanischen Füllern, wo man ganz zuvorderst feine Federn antreffen kann. 

Welchen Vorteil haben denn diese Federn, wenn sie heute so wenig gefragt sind? Wenig gefragt sind diese Federn, weil es kaum noch einen hochwertigen und beratenden Fachhandel gibt, wie es früher überall üblich war. Normalerweise war ein Füllhalter früher ein Werkzeug, bei dessen Kauf man sich beraten ließ und Fachverkäufer einen auf den richtigen Weg bringen konnten. Sicher kann man in firmenspezifischen Boutiquen z. B. bei Montblanc noch Federn ausprobieren und vielleicht bekommt man dort auch eine gute Beratung (das kann ich aktuell nicht sagen und wissen), aber firmenübergreifende Erfahrungen kann man damit nicht mehr machen. Natürlich gibt es international noch gute Fachgeschäfte. Aber sie sind gerade in Deutschland mit Sicherheit rar geworden. In den 90ern war das noch anders. Auch der Internethandel und die zunehmende Digitalisierung von Schrift haben vieles verändert. 

Bei den Schrägfedern führen zudem unterschiedliche Vorstellungen der Hersteller über deren Daseinsberechtigung für einige Irritation. Für einige Marken wie Montblanc, Parker oder Sheaffer ist der Ausgangspunkt das Schreibergebnis. Die Oblique-Federn haben einen Bandzugcharakter (Bandzugfeder), wie man im im Deutschen Federn vom Stil einer Italic oder Stub nennt. Angeschrägte Federn werden in einem 45-Grad-Winkel zum Papier sozusagen gezogen und haben somit einen schmalen Aufstrich und einen breiteren Abstrich. Druck muss keiner aufgebracht werden. Es entsteht ein kalligraphisches Schriftbild, wie man es oben besonders bei der Sheaffer-Feder sehen kann. Die Montblanc ist etwas abgemildert, sozusagen eine angeschrägte Stub, während die Sheaffer eher einer Italic entspricht. Nochmals zum Verständnis: Stub und Italic sind gerade Federn. 

Pelikan und Lamy sehen dies heute anders (Pelikan hatte früher z. B. beim P1 durchaus sehr scharfe Italic-artige OB-Federn) . Sie haben als Ausgangspunkt das Schreibverhalten. Sie sollen gewählt werden, wenn der Kunde gerade wie oben gesagt die Federn im 45-Grad-Winkel nach rechts zieht. Das Schriftbild ist sekundär und entspricht bei einer nur angeschrägten Kugel im Wesentlichen dem Schriftbild einer entsprechend breiten geraden Feder. Lamy will also diese Strichvariation nicht anbieten, warum auch immer. Der Erfolg der Bandzugfedern auch bei einfachen Modellen (siehe z. B. TWSBI oder FPR) zeigt ja, dass die Kunden diese Federn gerne verwenden. Auch Lamy bietet ja solche einfachen Kalligraphie-Federn (Lamy Joy) an. Auch Pelikan hatte schon früher eine sogenannte Schönschreibfeder im Pelikan Script. 

Wenn man also noch wenig Fachgeschäfte hat, die hauptsächlich gängige Federn auch bei hochwertigen Serien anbieten, und wenn zudem kaum ein Unterschied im Schriftbild gegenüber geraden Federn entsteht, kann man die fehlende Nachfrage bei Pelikan gut verstehen. Bei entsprechendem Interesse kann man sich bei Pelikan aber Spezialfedern nach Wunsch und Aufpreis (Feder S) schleifen lassen oder man beauftragt einen sogenannten Nibmeister, der das mehr oder wenig gut erledigt. Oder macht es selber, wenn man es sich zutraut und/oder kann. 

Lamy wiederum bietet OM und OB bei seinen Goldfedermodellen weiterhin an. So kann man den Lamy 2000 und den Imporium mit solchen Federn erwerben. Für beide Goldfederserien stehen sie somit zur Verfügung. 


Ich selber sehe die OM oder OB/OBB gegenüber den feinen Federn als zwei Seiten einer Medaille. Ich bevorzuge aber die heute seltenen stark angeschrägten Federn mit kräftigem Bandzugcharakter, wie sie für Parker und Sheaffer typisch waren. Gerade auch die alten Montblanc-Modelle sind etwas moderater, aber genauso exzellent. Nur wenn sie diese Schreibcharakteristik aufweisen und der eigenen Schreibhaltung entsprechen, sind sie eine überragende Option. Schmaler Aufstrich, breiterer Querstrich, gerade auch optimal für Unterschriften. Eine runde Feder wirkt hier dagegen plumper und braucht auf Aufmerksamkeit, damit die Schleifen der Buchstaben nicht zusammenfallen.

 

Viele Grüße

Euer Thomas

Ergänzung in bezug auf den Kommentar vom 25.6.19:

Siehe dazu die Kommentare #5 und 6.

 

Es folgen einige Federn gekannter Klassiker, die ich spontan in die Hand bekommen habe nach Alfreds Kommentar vom heutigen Tag. Meine Ergänzung dazu in Kommentar #6. Ich finde, Alfred hat bezüglich vieler aktueller Federmodelle, sofern es Obliques überhaupt noch gibt, recht. Es sind meist angeschrägte, rund geschliffene Federn. Beim Aurora mit seiner 14K-OM-Feder ist es ja praktisch auch so:

Aurora Talentum, OM mit Waterman Serenity Blue
Aurora Talentum, OM mit Waterman Serenity Blue
Aurora Talentum OM, Parker Duofold OB, Montblanc 12 OB mit Barneys Katzenhaar, Montblanc 14 OM und Pelikan P1, OBB
Aurora Talentum OM, Parker Duofold OB, Montblanc 12 OB mit Barneys Katzenhaar, Montblanc 14 OM und Pelikan P1, OBB
Aurora 14K, rhodiniert OM mit Hartgummi-Tintenleiter (Modell 2019)
Aurora 14K, rhodiniert OM mit Hartgummi-Tintenleiter (Modell 2019)
Parker Duofold International OB (1998)
Parker Duofold International OB (1998)
Montblanc Meisterstück 12 OM aus den 60ern
Montblanc Meisterstück 12 OM aus den 60ern
Pelikan P1 OBB (1959-63 gebaut)
Pelikan P1 OBB (1959-63 gebaut)
Montblanc 254 OB ca. Mitte 50er
Montblanc 254 OB ca. Mitte 50er
Geha Goldschwinge OB (ab 1961)
Geha Goldschwinge OB (ab 1961)

Ich denke, man sieht den Unterschied gut zwischen dem Aurora und den anderen. Einen Lamy 2000 OB hatte ich in den 90ern, ihn aber dann getauscht, weil er so queitschte und auch nicht gut schrieb. Ein zweiter Versuch verlief Jahre später ähnlich. Der Lamy 2000 von 1994 (ein Geschenk meiner jetzigen Ehefrau) hat heute eine EF und noch das ursprüngliche Vorderteil mit der Kunststoffeinlage.

 

Ich hoffe, die Bilder haben euch gefallen.

 

Viele Grüße

Thomas

 

P. S.: Ich würde mich sehr freuen, und sicher nicht nur ich, wenn ihr Leser mir Bilder über die E-Mail-Adresse schicken könntet, Schriftproben oder Federspitzen. Gerade auch aktuelle Meisterstücke sind sehr willkommen, auch mit B und BB als Vergleich. Danke! 


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Kommentare: 6
  • #1

    Erasmus (Sonntag, 06 Mai 2018 18:26)

    Hallo Thomas,
    Ich „liebe“ oblique Federn, also solche, die halt eine Linienvariation zulassen. Die von Shaeffer kenne ich leider nicht. Nur die von Montblanc (der letzten gut 50 Jahre is heute) von Lamy und von Pelikan. Die von MB finde ich am schönsten, weil sie, wie von Dir angedeutet die intensivste Variation zeigen. Ich finde es schade, dass Pelikan solche nicht mehr standardmäßig anbietet. Selbst eine extra-feine gibt es ja nur via Aufpreis. Das Schriftbild einer breiten oder abgeschrägten MB-Feder finde ich einfach nur wunderschön. Aber ich bin auch ein großer MB-Fan ... Italic-Federn, ob von TWSBI oder Lamy oder Pelikan finde ich im Grunde auch ganz schön (bis 1.1mm, breiter sieht nicht so gut aus), aber das Schriftbild ist kantiger mit flachen Federn als mit angeschrägten. Ist aber nur meine Meinung ...

  • #2

    Paf (Sonntag, 06 Mai 2018 18:35)

    „Ist aber nur meine Meinung „

    Und Deine Meinung zählt!

    Danke für den Kommentar.
    Viele Grüße Thomas

  • #3

    Hermann (Mittwoch, 19 Dezember 2018 12:02)

    Hallo Thomas!

    Vielen Dank für die Erläuterungen zu den Oblique-Federn. Leider habe ich sie erst jetzt entdeckt. Ich erinnerte mich an die Füller meiner Eltern von Lamy (Lamy 27) und Pelikan (M1), die beide eine solche breitere Feder hatten. Mein Vater hatte eine fantastische Handschrift und mit diesen Füllern erst recht. Genau das wollte ich es haben, auch wenn ich nicht ganz so schön schreibe. Deshalb war ich von dem Lamy 2000 OBB so enttäuscht. Trotzdem ein schöner Füller aber eben, wie du schon sagst, schwierig zu handhaben, weil die Buchstaben gerne ineinanderfließen.

    Beste Grüße
    Hermann

  • #4

    Pens and Freaks (Mittwoch, 19 Dezember 2018 21:07)

    Danke, Hermann, für die Erläuterungen.

    Viele Grüße
    Thomas

  • #5

    Alfred (Dienstag, 25 Juni 2019 12:26)

    Um es nach all der Zeit noch einmal in aller Deutlichkeit zu betonen: Oblique-Federn haben alleine die Eigenschaft, dem "Schrägschreiber" die richtige, weil ermüdungsfreiere Schreibhaltung zu ermöglichen!
    Das hat nichts mit der Eigenschaft Stub, Italic oder ähnlichem zu tun.
    Zeigt eine Oblique Feder also Stub- oder Italic-Eigenschaften, so ist das entweder Zufall oder in einem gesonderten Anschliff so gewollt, ob vom Hersteller oder vom Kunden.
    Ich kann das auch bestätigen als Eigner mehrerer Stub, Italic und Oblique Federn an entsprechenden Füllfederhaltern. Meine mit Obliques versehenen Füllfederhalter schreiben mal variabel, mal nicht. Aus oben ausgeführten Gründen.

  • #6

    Pens and Freaks (Dienstag, 25 Juni 2019 21:04)

    Hallo Alfred, vielen Dank für Deinen engagierten Beitrag. Die einzige Kontroverse, die ich sehen kann, ist folgende: Wenn ein Kunde sich im Fachhandel, da nicht vorrätig, eine Feder für einen bestimmten Füllhalter (z. B. Lamy 2000) besorgen lassen muss, ohne ihn geschrieben zu haben oder sich im Internethandel bedient UND eine Strichvariation erwartet und nicht bekommt.

    Wie ich oben schon anführte, war gerade im Inland die Oblique-Feder sehr lange im üblichen Angebot. Auch bei Lamy waren das früher angeschrägte Bandzugfedern! Offenbar hat man im Verlauf (beim Lamy 2000 wahrscheinlich von Anfang an) umgedacht, und angeschrägte (Kugel-) Federn genommen, die nur die Schreibhaltung bedienen.

    Bei Pelikan gab es gerade bei den ursprünglichen Pelikan M800 mit den 14K-Goldfedern wunderbare Exemplare mit sehr ausdrucksvoll schreibenden Federn.

    Wer Federn im 45 Grad Winkel zur Sichtvertikalen ziehend schreiben kann, dem kommen linksangeschrägte Federn (für den Rechtshänder: Feder sieht von oben aus wie euer linker Fuß, daher linksangeschrägt) durchaus entgegen. Je feiner die Feder desto akkurater muss man aber die Feder ansetzen, was dann nicht so einfach ist und sich häufig mit der Zeit ergibt. Auch bei kleinen Federn wie beim Lamy 2000 ist die Federführung erschwert. OF-Federn sind daher am frühesten verschwunden, während die OM, OB und OB selbst bei Stahlfedern noch lange angeboten wurden (so auch bei Pelikan als OB beim M200 oder als OM von Cross beim Century II). Mit dem Verschwinden richtiger Handschriften und mit der zunehmenden Verbreitung von aufrechten Schriften in Verbindung mit Drehbewegungen beim Schreiben (was der Kugelschreiber problemlos verzeiht), konnten viele mit diesen in den 60ern und 70ern noch sehr verbreiteten Federn weniger anfangen.

    Und die, lieber Alfred, waren vornehmlich angeschrägte Bandzugfedern. In Deutschland konkurrierten sie mit der BB, die ja klassisch ebenso einen Bandzugcharakter hat, um nicht zu klobige Schriften mit zulaufenden Schleifen zu produzieren. Leider gibt es solche Federn heute bei BB auch.

    Meist sind solche Oblique-Federn rigide oder höchstens teilelastisch (federn z. B. bei der grandiosen Montblanc-Intarsienfeder = von MB Flügelfeder genannt), weiche Federschenkel können sie nicht gut ab.

    In der Anlage habe ich einige Oblique-Federn fotografiert und dies im Vergleich zu einer Aurora-OM in einem Talentum, die als Spezialfertigung im Frühjahr 2019 zu mir gekommen ist. Diese hat nur eine geringe Strichvariation und entspricht am ehesten dem Typ, den Alfred angesprochen hat. Ich glaube, bei Aurora bekommt man auf Wunsch auch rechtsangeschrägte Federn (z. B. OBR), wie sie für Linkshänder geeignet sind oder auch in der Kalligraphie bei Tauchfedern eingesetzt werden, weil dadurch Auf- und Querstrich in der Breite vertauscht sind.

    Aber auch die Amerikaner haben wunderbare Schrägfedern produziert, Sheaffer und Parker noch bis Ende der 90er. Bei Parker soll man ja für den Duofold (früher auch für den Sonnet) solche Federn auf Wunsch noch bekommen. Auch in einem grünen Waterman Edson hatte ich eine OM mit einer ausgeprägten Bandzugcharakteristik (angeschrägte Italic würde man heute sagen).

    In der Zusammenstellung habe ich einige Modelle, die mir gerade in die Hand gekommen sind, aufgenommen. Dabei sind die berühmte Gehe Goldschwinge, der Targa by Sheaffer, (den schwarzen PFM III habe ich gerade nicht parat, sein Schriftbeispiel ist oben), der Pelikan P1, der Parker Duofold aus den 90ern, drei Montblancs: der wunderbare 254 und die 60er-Jahre Kardinalshut-Meisterstücke 12 und 14 mit prächtigen OM- und OB-Federn. Als Unterschriftenfüller sind die 14er eine tolle Sache.

    Italic und Stub sind meist aus dem angelsächsischen stammende Begriffe für gerade Schliff-Formen, die mehr oder weniger Strichvariation zeigen. Bei der Italic werden häufig als Kalligraphiefeder verschiedene Stärken (in mm) angeboten, z. B. Italic 1,1 mm. Bei vielen Anbietern wie visconti, TWSBI, Conklin, Monteverde u. v. a. gehören sie zum festen Programm, weil das attraktive Schriftbild (Lamy und Pelikan haben das früher bei ihren einfachen Kalligraphie-Füllern schon so gemacht) neue Kundschaft erschließen kann. Manche BB ist eine breitere Stub.

    Ich hoffe, ich konnte nochmals einiges klarstellen und vertiefen und habe nicht verwirrt.

    Falls Fragen offen bleiben oder ihr Schriftbeispiele schicken wollt (bitte auch bei "Schriftproben" nachsehen), sehr gerne!

    Viele liebe Grüße und nochmals vielen Dank, Alfred, für Deinen Kommentar! Davon lebt eine solche Webseite.

    Euer Thomas